„Warum fasziniert uns Nachgeborene der Gesang von Maria Callas bis heute? Weil Maria Callas singt, wie Malcolm X und Martin Luther King ihre Reden hielten und Politik gemacht haben, mit Haltung, mit unbedingtem Einsatz und aus existenzieller Notwendigkeit heraus.“
Auch die glamouröse Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie konnte die tiefe Krise der klassischen Musik nicht übertünchen: Sie ist im Ritual erstarrt, das Repertoire bleibt konventionell und Konzertbesuche dienen oft nur dem elitären Distinktionsbedürfnis.
Unterdessen versuchen die Musikkonzerne mit Entspannungs-CDs für gestresste Manager und der cleanen Inszenierung geigender Schönheiten gegen sinkende Verkäufe anzukämpfen. Doch trotz dieser Anbiederung schreitet die Entfremdung der klassischen Musik von der Masse der Menschen immer weiter fort – wer würde heute noch davon zu träumen wagen, dass die sogenannte Unterschicht ihr Glück in der Klassik finden könnte?
Angesichts dieses Elends der Ernsten Musik fordert Berthold Seliger, „Deutschlands eloquentester Konzertagent“ (Berliner Zeitung), einen neuen Klassikkampf um die verdrängten Potenziale der Musik. Er wirft einen kenntnisreichen Blick hinter die Kulissen des heutigen Klassikbetriebs und ruft mit Verve in Erinnerung, daß die Ernste Musik entgegen der heutigen Mutlosigkeit und Verflachung eigentlich von Mozart über Beethoven bis Eisler und Abbado immer auf die Revolutionierung der Schönheit und damit auch der realen gesellschaftlichen Verhältnisse zielte; es ging um nichts weniger als um Fortschritt und Glück.
Seliger erklärt, was es mit „Musik als Sprache, die (nicht) jeder versteht“ auf sich hat, er plädiert ausdrücklich für die Trennung in Ernste und Unterhaltungsmusik (setzt sich allerdings für eine neue Kategorisierung jenseits von Klassik und Pop ein) und dafür, die Klassiker vom Podest zu holen und wieder zu nutzen, statt sie nur anzubeten. In einem ausführlichen Kapitel zur Bildung fordert er eine komplette Revidierung der neoliberalen Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte zugunsten einer Neuorientierung an den „humanities“ und vor allem auch zugunsten der „outerclass“. Schließlich schildert Seliger in einem großen Kapitel zu Beethoven den Komponisten als gesellschaftliches Wesen, der auch heutigen Musiker*innen aller Sparten als Beispiel für eine Musik mit Haltung dienen kann, und erläutert das „Prinzip Dire Straits“, dem er das „Prinzip Beethoven“ entgegensetzt.
Seliger fordert nichts weniger als die Rettung des revolutionären Glutkerns der „Klassik“, die nur über ihre breite gesellschaftliche Wiederaneignung gelingen kann und die wie Bildung und Kultur in den letzten Jahrhunderten immer wieder aufs Neue erkämpft werden muss. So ist seine schonungslose Kritik an der gegenwärtigen Misere am Ende nichts weniger als eine flammende Liebeserklärung an die „klassische“, an die Ernste Musik.